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Applications – die wahre Wertschöpfung von KI: Europas Weg zu erfolgreichen Anwendungen

Künstliche Intelligenz (KI) wird oft als Zukunftstechnologie bezeichnet, die ganze Märkte transformieren soll. Doch die wahre wirtschaftliche Wertschöpfung von KI wird weniger auf der Ebene von Modellen und Algorithmen, sondern vielmehr in deren Anwendungen realisiert. Genau hier liegt Europas größte Chance – und zugleich eine gewaltige Herausforderung.

Sebastian Büttner

Die Wertschöpfung beginnt mit der Anwendung

Der Aufbau von großen Sprachmodellen (LLMs) wie GPT hat in den letzten Jahren die öffentliche Debatte dominiert. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die eigentliche wirtschaftliche Wertschöpfung nicht in der Modellentwicklung, sondern in deren praktischer Anwendung liegt. Beispiele aus anderen Technologiefeldern zeigen das deutlich:

  • Das iPhone war nicht das erste Smartphone, aber das erste mit einem zugänglichen App-Ökosystem, das die digitale Welt revolutionierte.
  • Cloud-Technologie brachte ihren größten wirtschaftlichen Durchbruch nicht durch Infrastruktur, sondern durch spezialisierte Anwendungen wie CRM-Systeme, Online-Marketing-Tools und datengetriebene Geschäftsmodelle.

Ähnlich wird es bei KI sein: Die entscheidende Frage lautet nicht, ob Europa starke Modelle entwickelt, sondern ob wir diese Modelle in skalierbare, globale Anwendungen übersetzen können.

Spotify, Adyen und andere europäische Erfolgsgeschichten

Europa hat in der Vergangenheit bewiesen, dass es in der Lage ist, globale Marktführer in digitalen Anwendungen hervorzubringen. Spotify hat die Musikindustrie revolutioniert und weltweit neue Standards für Musik-Streaming gesetzt. Adyen hat es geschafft, sich als führendes Unternehmen für Zahlungsabwicklung zu etablieren und ist heute ein zentraler Partner für einige der größten digitalen Plattformen weltweit.


Diese Beispiele zeigen, dass es möglich ist, von Europa aus global relevante Unternehmen zu entwickeln. Sie sind jedoch auch Ausnahmen in einem zunehmend härter umkämpften Markt. Anders als vor einem Jahrzehnt gibt es heute keine "grünen Wiesen" mehr. Die Wettbewerbsintensität ist enorm, und neue Champions entstehen nur noch mit erheblichem Kapitaleinsatz und Zugang zu einer breiten digitalen Infrastruktur.

Was Europa fehlt: Infrastruktur und Energie für das KI-Zeitalter

So groß manche Erfolge der Vergangenheit auch sind – Europa darf sich nicht auf alten Geschichten ausruhen. Der Aufbau von AI-getriebenen Unternehmen erfordert heute eine robuste digitale Infrastruktur, leistungsfähige Rechenzentren und massive Investitionen in Hochleistungs-Clouds.

 

Doch gerade hier hinkt Europa hinterher. Während die USA und China systematisch ihre KI-Infrastrukturen ausbauen und den Zugang zu Hochleistungsrechnern erleichtern, fehlen in Europa häufig sowohl der politische Wille als auch die finanziellen Mittel, um ähnliche Strukturen zu schaffen. Auch der Energiebedarf für große Rechenzentren ist eine Herausforderung, die politisch oft nur zögerlich angegangen wird.

Chancen für die Zukunft: Vom Modellbau zur Anwendungskultur

Trotz der Herausforderungen ist Europas Position keineswegs aussichtslos. Die Stärke unseres Kontinents liegt in der Vielfalt seiner Märkte und Branchen sowie in einer klaren regulatorischen Ausrichtung, die weltweit Standards setzt. Wenn Europa die Brücke von der Forschung zur Anwendung erfolgreich schlägt, könnten wir nicht nur wirtschaftlich profitieren, sondern auch soziale und ethische Maßstäbe in der KI-Entwicklung setzen.


Drei konkrete Handlungsfelder:

  1. Infrastruktur und Energie: Massive Investitionen in KI-Infrastruktur, verbunden mit nachhaltigen Energiequellen, sind unverzichtbar.
  2. Förderung von KI-Start-ups: Europäische Start-ups brauchen besseren Zugang zu Wachstumskapital und vereinfachte regulatorische Prozesse, um international zu skalieren.
  3. Bildung und Fachkräfte: Ohne gut ausgebildete Fachkräfte wird Europa den Wettbewerb langfristig verlieren. Bildungssysteme müssen sich auf Datenkompetenz und digitale Kollaboration ausrichten – und zwar über alle Bildungsstufen hinweg.

Fazit: Europas entscheidende Frage

Die nächste Phase der KI-Revolution wird sich an der Anwendung entscheiden. Europa hat die Chance, die nächste Generation digitaler Champions zu formen – doch nur, wenn es gelingt, Forschung in Wirtschaftskraft zu übersetzen und den Weg für skalierbare Geschäftsmodelle zu ebnen.

Die wahre Frage lautet nicht, ob wir es schaffen, die besten Modelle zu bauen. Sondern: Sind wir bereit, die Infrastruktur, die Energie und den Mut aufzubringen, um diese Modelle in globale Anwendungen zu übersetzen?

Ein solcher Schritt erfordert nicht nur technologische Kompetenz, sondern auch eine neue Haltung: Europa muss vom Zuschauer zum Macher werden – schnell, entschlossen und mit einer klaren Vision für die Zukunft.


Über den Autor:

Der Autor ist Co-Gründer von Quantum Beyond, einem europäischen Beschleunigungsprogramm für die Digitalisierung von Unternehmen. Unter dem Label Quantum Beyond Infinity liegt der Fokus auf AI-driven Organization Design, datengetriebenen Strategien und der intelligenten Mensch-Maschine-Kollaboration, um Unternehmen zukunftsfähig und wettbewerbsstark für das KI-Zeitalter aufzustellen.

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