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Euro LLM: Die Diskussion geht am Problem vorbei

Seit dem offiziellen Start des Open Euro LLM-Projekts wird in Europa viel darüber diskutiert, ob dieses Vorhaben ein Erfolg wird oder ob es lediglich ein weiteres symbolisches Projekt bleibt. Doch diese Diskussion greift zu kurz. Die eigentliche Frage ist nicht, ob Europa ein eigenes LLM-Projekt braucht – sondern ob es überhaupt eine Alternative dazu gibt.

Sebastian Büttner

Europa: Vom Technologie-Entwickler zum Anwender

Wir müssen uns eingestehen: Europa hat sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter von der Position eines führenden Technologieentwicklers zu einem abhängigen Technologieanwender entwickelt. Wir befinden uns in einer Situation, in der wir nicht einmal mehr unsere eigene digitale Infrastruktur kontrollieren:

  • Chips? Kommen von NVIDIA, AMD oder Intel – allesamt US-Unternehmen.
  • Cloud-Infrastruktur? Wird von Amazon, Microsoft oder Google betrieben.
  • KI-Modelle? OpenAI, Anthropic oder Baidu haben die Nase vorn.
  • Internetversorgung für autonome Systeme? Starlink dominiert das Feld.
  • Betriebssysteme? Windows, macOS, Android – alle unter US-Kontrolle.
  • Hardware? China ist das globale Fertigungszentrum für IT-Produkte.

Wir sind auf dem technologischen Spielfeld zu einem Vendor-Lock-Gefangenen geworden – und das in fast allen Bereichen. Wir dürfen zwar noch „mitspielen“, aber nur innerhalb der vorgegebenen Spielregeln der USA oder Chinas.

Lego-Bastler oder echter Baumeister?

Der aktuelle Zustand Europas lässt sich mit einem Hobby-Bastler vergleichen, der im Laden nur Lego-Technik-Baukästen kaufen kann. Er kann die Einzelteile kreativ kombinieren, aber nie wirklich frei gestalten – denn die eigentliche Architektur und die Kerntechnologie werden von anderen entwickelt.

Genau hier liegt das Problem: Solange wir unsere technologische Basis nicht selbst entwickeln, werden wir immer von anderen abhängig bleiben. Die aktuelle Diskussion um den Erfolg oder Misserfolg von Euro LLM ist daher falsch. Denn das eigentliche Thema ist nicht die Erfolgschance dieses einen Projekts – sondern die Notwendigkeit, in diesem Bereich überhaupt unabhängig zu werden.

Euro LLM: Der erste notwendige Schritt, aber nicht genug

Das OpenEuroLLM-Projekt ist ein wichtiger Baustein, um Europa von US-amerikanischen oder chinesischen KI-Plattformen unabhängiger zu machen. Es bringt führende europäische Forschungseinrichtungen, Supercomputing-Zentren und KI-Unternehmen zusammen, um leistungsfähige, multilinguale Open-Source-Sprachmodelle zu entwickeln.

Doch ein einzelnes LLM-Projekt wird das strukturelle Problem nicht lösen. Wir brauchen ein umfassendes Technologie-Ökosystem, das über KI-Modelle hinausgeht:

  • Europäische Halbleiterproduktion – ohne eigene Chips bleibt jede KI-Entwicklung abhängig von US-Lieferketten.
  • Europäische Cloud-Infrastruktur – ohne souveräne Rechenzentren verbleiben unsere Daten in den Händen von Microsoft & Co.
  • Eigene Internet- und Satellitenkommunikation – um nicht von Starlink oder anderen nicht-europäischen Netzwerken abhängig zu sein.
  • Europäische Betriebssysteme und Software-Stacks – um nicht immer nur auf Windows, macOS oder Android zurückgreifen zu müssen.

Es geht nicht um das "Ob", sondern um das "Wie schnell"

Die Frage ist also nicht, ob Euro LLM sinnvoll ist – sondern wie wir es so schnell und so gut wie möglich umsetzen können. Und parallel dazu muss sich Europa fragen:

Wer arbeitet jetzt an den anderen fehlenden Bausteinen?

Denn eines ist sicher: Die Welt wartet nicht auf uns. Und wenn Europa nicht in den nächsten Jahren handelt, wird es vielleicht schon in wenigen Jahren zu spät sein, um noch echte technologische Souveränität zu erlangen. 


Über den Autor

 

 

Der Autor ist Co-Gründer von Quantum Beyond, einem europäischen Beschleunigungsprogramm für die Digitalisierung von Unternehmen. Unter dem Label Quantum Beyond Infinity liegt der Fokus auf AI-driven Organization Design, datengetriebenen Strategien und der intelligenten Mensch-Maschine-Kollaboration, um Unternehmen zukunftsfähig und wettbewerbsstark für das KI-Zeitalter aufzustellen.

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