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Eine Billion für Deutschlands Zukunft – doch ohne Digitalisierung bleibt das Infrastrukturpaket wirkungslos

Am Freitag entscheidet der Bundesrat über Investitionen in Höhe von über 1 Billion Euro – eine historische Chance, um das Land wirtschaftlich, technologisch und infrastrukturell neu aufzustellen. Wenn diese Investitionen klug genutzt werden, kann Deutschland eine neue Renaissance erleben. Doch das wird nur gelingen, wenn die Digitalisierung endlich zur Chefsache wird.

Sebastian Büttner

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Wird das Infrastrukturpaket ein gigantisches Restaurierungsprogramm oder ein Zukunftsprojekt?

Deutschland steht vor einer historischen Investitionsentscheidung. Über eine Billion Euro sollen in Infrastruktur und Verteidigung fließen – eine Summe, die das Potenzial hat, das Land wirtschaftlich und technologisch neu aufzustellen. Doch das Geld allein wird nicht reichen. Wenn es nur in alte Strukturen fließt, in ineffiziente Prozesse und überbürokratisierte Vorhaben, wird es keinen echten Fortschritt bringen.

Genau hier kommt die Digitalisierung ins Spiel. Sie ist kein nettes Extra, sondern der Schlüssel, um aus dieser Investition echten Fortschritt zu machen. Es geht nicht um einzelne IT-Projekte oder neue Tools – es geht darum, wie wir in Zukunft arbeiten, wirtschaften und verwalten. Digitalisierung bedeutet, Prozesse schlanker, effizienter und intelligenter zu gestalten, sie bedeutet, Verwaltung schneller, Infrastruktur smarter und Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen. Doch statt sie als strategischen Hebel zu nutzen, wurde sie in Deutschland bisher oft als technisches Nebenprojekt betrachtet. Das Ergebnis ist ernüchternd.


Deutschland und die Digitalisierung im internationalen Vergleich: 

  • Platz 13 im weltweiten Digital Competitiveness Index (IMD World Digital Competitiveness Ranking 2024) – weit hinter Ländern wie den USA (Platz 1), Singapur (Platz 4) oder Dänemark (Platz 6).
  • Platz 18 im DESI-Index der EU-Kommission (Digital Economy and Society Index 2023) – insbesondere wegen des langsamen Glasfaserausbaus und der schleppenden Digitalisierung der Verwaltung.
  • Platz 24 von 27 im europäischen eGovernment-Ranking (Europäische Kommission, 2023) – Deutschland bietet nach wie vor kaum durchgängig digitale Verwaltungsdienstleistungen für Bürger und Unternehmen an.

Die Ampel stand in punkto Digitalisierung auf Rot

Unter der Ampel-Koalition fehlte es an messbaren Taten, die den in den letzten Jahren viel zu oft gehaltenen Sonntagsreden zur Digitalisierung folgten. So investierte die Bundesregierung 2023 z.B. lediglich 1,6 Milliarden Euro in KI, während die USA über 50 Milliarden Euro und China über 20 Milliarden Euro bereitstellten. Eine lächerliche Summe, wenn man bedenkt, dass KI nicht nur Wirtschaft, sondern auch Verteidigung, Verwaltung und Innovation entscheidend prägen wird.


Doch die Probleme fingen nicht erst mit der Ampel an. Die Digitalisierung wurde über Jahre zwischen Ministerien, Bundesländern und Bürokraten zerrieben – ein Systemfehler, der bis heute anhält. Ein Bundesministerium für Digitalisierung? Fehlanzeige. Stattdessen vielerorts viel Herumwurschtelei an nicht zu Ende gedachten Insellösungen, die weder Unternehmen noch Bürgern echte Fortschritte gebracht haben.

 

Die deutsche Wirtschaft betrieb Digitalisierung als "lästiges Nebenprojekt"

Fairerweise kann man aber natürlich nicht nur dem Staat die Schuld an Deutschlands misslungener Digitalisierung in die Schuhe schieben. Auch viele Unternehmen haben Digitalisierung lange als "lästiges IT-Projekt" behandelt, das neben dem Kerngeschäft herlief, anstatt es zu transformieren. Das Ergebnis: Unzählige Digitalisierungsvorhaben versandeten in endlosen "Steering Committees" oder wurden durch eine lähmende Perfektionskultur ausgebremst.

 

Während in anderen Ländern neue Technologien mutig in den Markt gebracht wurden, wartete Deutschland lieber auf die "perfekte Lösung". Die Folge? Unsere Unternehmen verloren Marktanteile an agilere, digitalere Wettbewerber, die nicht nur schnellere Prozesse, sondern auch innovativere Geschäftsmodelle etablierten.

Was wir alle jetzt tun müssen

Das Billionen-Investitionspaket ist eine einmalige Gelegenheit, all diese Versäumnisse bei der digitalen Transformation nicht nur nachzuholen, sondern strategisch neu  zu denken. Doch dafür muss Schluss sein mit halbherzigen Initiativen und isolierten Pilotprojekten. Digitalisierung ist kein Selbstzweck – sie ist der Schlüssel zu wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit, technologischer Souveränität und letztlich zur Sicherung unseres Wohlstands. Jetzt ist der Moment, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Wir müssen: 

 

1. Ein Digitalministerium mit echter Macht schaffen
Deutschland braucht eine zentrale Instanz für Digitalisierung – kein Flickwerk aus Ministerien, Länderkompetenzen und Behördenchaos. Ein Bundesministerium für Digitalisierung und KI mit klarer Verantwortung, Budgethoheit und Durchgriffsmöglichkeiten ist überfällig. Digitalisierung darf nicht länger ein Nebenprojekt sein, das sich zwischen Innen-, Verkehrs- oder Wirtschaftsministerium aufreibt.

2. Bürokratische Innovationshürden abbauen
Eines der größten Probleme in Deutschland ist die überbordende Bürokratie, die digitale Projekte lähmt. Zu komplexe Regularien und unklare Zuständigkeiten verzögern Innovationen um Jahre. Genehmigungsprozesse müssen vereinfacht und regulatorische Sandboxes geschaffen werden, in denen Unternehmen neue Technologien risikofrei testen können.

3. KI und Digitalisierung endlich als Wirtschaftspolitik begreifen
Es braucht massive Investitionen in Forschung, Rechenzentren und digitale Infrastruktur, um Deutschland international wieder konkurrenzfähig zu machen. Unternehmen müssen Anreize bekommen, KI nicht nur in Pilotprojekten auszuprobieren, sondern tief in ihre Geschäftsmodelle zu integrieren.

 

4. Unternehmenskultur verändern: Digitalisierung als Kernkompetenz
Digitalisierung ist kein IT-Projekt, sondern eine Managementaufgabe. Führungskräfte müssen endlich begreifen, dass digitale Prozesse, KI und Automatisierung über die Zukunftsfähigkeit ihrer Unternehmen entscheiden. Wer weiterhin mit Excel-Tabellen hantiert und Digitalisierung an "irgendwelche Taskforces" delegiert, wird im globalen Wettbewerb untergehen.

 

5. Bildung digitalisieren und IT-Fachkräfte ausbilden
Ohne IT-Experten keine Digitalisierung. Deutschland leidet unter einem massiven Fachkräftemangel in Tech-Berufen, weil Schulen und Universitäten digitale Kompetenzen jahrelang vernachlässigt haben. Informatik muss Pflichtfach werden, digitale Weiterbildungen müssen gefördert werden, und Tech-Talente aus dem Ausland müssen leichter nach Deutschland kommen können.

Jetzt oder nie!

Deutschland steht an einem Wendepunkt. Die angekündigten Milliardeninvestitionen könnten nicht nur öffentliche Infrastruktur modernisieren, sondern auch Unternehmen einen dringend benötigten Digitalisierungs-Schub geben. Doch dies geschieht nicht von allein. Dabei geht es nicht um Software allein. Das ging es noch nie. Es geht darum, dass wir uns endlich dafür öffnen, die uns alle lähmenden, alten, verkrusteten Strukturen völlig neu zu denken.

Ein Amt kann z.B. auch eine Webseite sein, auf der ich als Bürger über eine KI-Agenten alle relevanten Leistungen meiner Kommune erhalte. Und eine Patientenakte kann mehr sein als nur ein PDF, sondern ein interaktiver, persönlicher Gesundheitsberater. Die Liste der Möglichkeiten und Potenziale ist endlos lang – und voller "low hanging fruits". Greifen wir nach ihnen, schnappen wir sie uns – und nutzen wir die Chance, Deutschland jetzt noch einmal neu zu bauen. Mit Digitalisierung. 


Über den Autor

Der Autor ist Co-Gründer von Quantum Beyond, einem europäischen Beschleunigungsprogramm für die Digitalisierung von Unternehmen. Unter dem Label Quantum Beyond Infinity liegt der Fokus auf AI-driven Organization Design, datengetriebenen Strategien und der intelligenten Mensch-Maschine-Kollaboration, um Unternehmen zukunftsfähig und wettbewerbsstark für das KI-Zeitalter aufzustellen.